Du 865 | April 2016 | Künstler-Porträts
Künstler-Porträts
Nach der Interview-Project-Ausgabe vom Dezember 2014 legen wir heute die Künstler-Porträts-Ausgabe auf. Mit Reportagen über mehr als ein Dutzend Künstler, Schriftsteller, Architekten, Musiker. Alles deutsche Erstveröffentlichungen, die Originaltexte stammen aus britischen Zeitungen wie Times, Sunday Times, Daily Telegraph.
Isabel Allende beginnt nur jeweils an einem 8. Januar ein Buch. Das Ritual begann im Jahr 1982, als sie einen Brief an ihren sterbenden Grossvater schrieb, woraus ihr erster Roman Das Geisterhaus entstand, der zu einem internationalen Bestseller wurde. Sie hatte eine miserable Kindheit. «Gott sei Dank – denn worüber soll man denn sonst schreiben, wenn nicht über durchgestandene Kämpfe?» Sie glaubt zwar nicht, dass es für Kreativität Kämpfe braucht, «aber kreative Menschen werden von Zorn und Leidenschaft angetrieben und von Dämonen und Erinnerungen heimgesucht».
Stephen King glaubt nicht, dass er noch so viel zu sagen hat wie früher, daher schreibt er weniger. Aber schreiben war immer das, worin er gut war und was er gern tat. Es macht ihn immer noch glücklich – nicht mehr jeden Tag, aber jeden zweiten. «Meine Verleger würden am liebsten immer nur Horrorromane von mir erhalten, aber ich wollte immer neue Dinge ausprobieren.»
Anselm Kiefer wohnt auf einem riesigen Industriekomplex in Südfrankreich, umgeben von Objekten, die aussehen wie Landwirtschaftssilos: Gewächshäuser oder Bleiflugzeuge, aus denen getrocknete Sonnenblumen spriessen. «Als Künstler muss man etwas finden, das einen zutiefst interessiert. Man muss besessen sein. Geschick und Technik folgen dann der Besessenheit.»
Jonathan Franzen ist ein Schriftsteller, der beschreibt, wie wir heute leben. Bei der persönlichen Begegnung erweist sich Amerikas berühmtester Romanautor als sympathischer, entspannter Mann, der sich in sorgfältig durchdachten Sätzen ausdrückt wie jemand, der weiss, dass er oft zitiert wird. Es gibt kaum ein Anzeichen für die Art von Ego, das sich daraus ergeben könnte, auf dem Cover von Time präsentiert zu werden. Seine Leser? «Diese sehe ich als meine Familie an, als meine Angehörigen. Ich denke, es sind gute Menschen, die noch einen ganzen Roman lesen.»
Frank Gehry ist von kleiner Statur, und sein Gang ist ein wenig
unbeholfen; zunächst wirkt er etwas abweisend, bevor er locker wird. Dann sprudelt eine Welle von Anekdoten, manchmal mit Selbstironie, manchmal pathetisch aus ihm heraus. Gehry ist kein Freund von Minimalismus. «Wenn Leute Galerien wie weisse Schachteln entwerfen und sie sterilisieren, damit sie nicht mit der Kunst konkurrieren, dann konkurrieren sie mit der Kunst.»
John Grisham empfängt den Journalisten unrasiert, in Khakihose und offenem Karohemd, ohne jeglichen Dünkel. Er ist entspannt und voller einfacher, grosszügiger Gastfreundschaft. Dabei ist er ein Superstar, Hollywood riss sich um seine Geschichten. Aber: «Hollywood will diese Art von Filmen nicht mehr machen.» Es scheint ihm egal, wenn seine Zeit vorüber ist. Er will nur einfach in Ruhe gelassen und nicht bei seinen Gedanken unterbrochen werden.
Tracey Emin gehört zu den Young British Artists und ist bekannt für ihre autobiografische Kunst. «Ich lebe ausserhalb der Gesellschaft und geniesse es.» Sie betrachtet die Dinge nun mal anders als andere, sie lebt ihr Leben anders, hat eine andere Einstellung. Aber sie hat erkannt, dass es diese Möglichkeit gibt.
Enya, erfolgreichste irische Solokünstlerin, wirkt im Gespräch kindlich und entrückt, was zu ihrer ätherischen Musik passt, ihrem gälischen Mystizismus und dem New-Age-Ansatz. «Wenn ich in einer Woche oder in einem Monat nicht mit irgendetwas Brauchbarem auftauche, dann werde ich allmählich nervös, aber jeden Tag komme ich etwas näher an die Melodie heran, nach der ich suche.»
Damien Hirst gilt in der Kunstwelt als Schamane oder Scharlatan. Die Boulevardpresse druckte fette Schlagzeilen zu seinen Ausstellungen. Geld und Ruhm haben ihn befreit. Armut hielt er nie für eine Voraussetzung für künstlerische Authentizität. Aber der unberechenbare Verrückte ist er nicht mehr.
Roberto Saviano schreibt Bücher über die Mafia, ist nach Ansicht des kürzlich verstorbenen Umberto Eco ein italienischer Held. Der Krieg gegen die Drogen sei eindeutig «nicht zu gewinnen», ist Savianos Schlussfolgerung.
Janis Joplin – als der Ruhm sie erfasste, da griff auch ein selbstzerstörerischer Hedonismus nach ihr. Aber die der Familie nach Texas geschickten Briefe zeigen eine ganz andere Frau, eine, die sich nach Sicherheit, Kontinuität, Liebe sehnte. «Mein ganzes Leben lang wollte ich einfach nur ein Beatnik sein.» Sie wusste, dass sie eine gute Stimme hatte und damit immer ein paar Biere herausschlagen konnte.
Haruki Murakami sieht etwa ein Jahrzehnt jünger aus, als er ist, das Ergebnis eines strengen Tagesablaufs mit Laufen und Schwimmen, den er, wie er sagt, seit mehr als dreissig Jahren einhält. Er ist freundlich und höflich, legt aber auch lange Phasen des Schweigens ein und platziert beiläufige, suggestive Anmerkungen in der Art, die seine surrealistischen Romane charakterisiert. Da gibt es wunderliche, verschlungene und unheimliche Welten, in denen zum Beispiel ein Schafsmann auftaucht. «Ich schreibe, was ich schreiben will, und während ich schreibe, finde ich heraus, was ich schreiben will.»
Mario Vargas Llosa schaut ernst, verträumt. Und da zeigt sich die Persönlichkeit, die diese Bücher geschrieben hat: eine Persönlichkeit, in der Sinn für subversive Komik und Spass am Lächerlichen im Widerstreit liegen mit einer intensiven, geradezu staatsmännischen Ernsthaftigkeit. «Ich denke, dass jeder die Sehnsucht hat, ein anderer zu werden, eine andere Identität zu leben.»
Georg Baselitz ist eine grosse, massige Gestalt, die ihre rosafarbenen, ziemlich fleischigen Gesichtszüge mit der ramponierten Hutkrempe abschirmt – so strahlt der Künstler eine etwas abgetragene Grandeur und eine gewisse Schadenfreude aus. Es ist das Aussehen eines Mannes, dessen Karriere viele der kulturellen und politischen Kämpfe des vergangenen Jahrhunderts widerspiegelt. «Ich frage mich, ob schlechte Erfahrungen für gute Bilder nötig sind», sagt der Maler. Es scheint, dass er die Traumata der Vergangenheit nicht aus seinen Werken heraushalten kann.
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