Du 845 | April 2014 | Herbert von Karajan – Der Jahrhundert-Dirigent
Herbert von Karajan
Der Jahrhundert-Dirigent
Man nannte ihn den Generalmusikdirektor Europas. In den Siebziger- und Achtzigerjahren war der Name Herbert von Karajan das führende Markenzeichen in der klassischen Musik. Er regierte von Salzburg über die Scala und die Met bis Wien und Berlin. 25 Jahre ist es jetzt her, dass er verstarb, bezeichnenderweise während Verhandlungen mit Sony-CEO Norio Ohga, in seinem Haus in Anif, in den Armen seiner Frau Eliette. Bezeichnenderweise deshalb, weil er seine Leistungsfähigkeit bis ins 82. Lebensjahr aufrechterhalten konnte. Ein Leben lang arbeitete er mit äusserster körperlicher Disziplin.
Karajan war eine absolute Ausnahmeerscheinung. Sein Charisma zog Persönlichkeiten aus aller Welt in Bann, seine Mischung aus verdichteter Disziplin und Eleganz, Geschmeidigkeit und Entschlossenheit. Eberhard von Koerber, stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats der Osterfestspiele Salzburg, sagt: «Er fand für alles das richtige Mass. Er wusste einzuteilen zwischen Arbeit und Ruhe, Genuss und körperlicher Fitness. Alles war genau getaktet, um ein Maximum an dauerhafter Wirkung zu erzielen. Er führte eben nicht nur andere, sondern auch sich selbst. So wie es beim Dirigieren ein Mass der Dinge gibt, so gibt es das auch im Umgang mit sich selbst, mit dem Körper, mit der eigenen Zeit. Und das hat er beherrscht!»
Karajan hatte als Wunderkind begonnen, er war ausserdem mit der Gabe des absoluten Gehörs gesegnet und fleissig bis zur Besessenheit. Die Musikkennerin Eleonore Büning schreibt: «Mehrere Stunden am Tag, meist die sehr frühen Morgenstunden, verbrachte er als junger Mensch mit dem Lernen von Orchesterpartituren, samt allen Stricharten, Dynamikvorschriften und Vortragsbezeichnungen. Von Anfang an dirigierte er nur auswendig.»
Du hat aus Anlass des 25. Todestages in dieser Ausgabe Menschen versammelt, die ihr Leben mit Karajan verbrachten oder ihn erst post mortem kennenlernten. Seine Frau Eliette von Karajan, die wir in St. Moritz trafen, ist noch heute zu bewegt. Sie kann seine Musik nicht hören. Es tut ihr zu weh, dass ihr Mann nicht mehr da ist. Sie bewundert seine grosse Disziplin, die sich in allen beruflichen und persönlichen Vorhaben und Handlungen ausdrückte. «Karajan war rastlos, aber wenn man Musik grundsätzlich anders anginge, wäre das das Ende jeder künstlerischen Weiterentwicklung», sagt die Ausnahmegeigerin Anne-Sophie Mutter, die als Dreizehnjährige von Karajan entdeckt wurde. «Es war einfach nur faszinierend, mit diesem Dirigenten zu arbeiten: Er hatte das Charisma eines Mannes, der nie still steht.» Die FAZ-Kritikerin Eleonore Büning: «Der Energiestrom, der losbrach, wenn er dirigierte, war körperlich zu spüren. Der Spannungsbogen, der niemals abreisst, der Klang, der nicht stirbt – eine Kunst, die von den jüngeren Dirigenten heutzutage nicht mehr eingefordert und ausprobiert wird, einfach, weil gleich alle rufen: Kitsch!» Peter Uehling, der in seiner Biografie den Aspekt der Interpretation erstmals miteinbezog, schreibt: «Karajans Forderung, jede Note mit konstanter Tonqualität bis zur nächsten Note auszuhalten, hat einen ununterbrochenen Klangstrom zur Folge. Gegliedert wird die Musik nicht mehr durch Artikulation, durch gesangliche Differenzierungen, sondern durch den Wechsel der klanglichen Struktur und Farbe. Ausdruck erhält eine Melodie durch die Intensität, mit der sie gespielt wird.»
Der diesen Januar verstorbene Musikkritiker Karl Löbl schreibt: «Karajan war eine Renaissance-Natur, ein Eroberer, ein Machtmensch. Später wusste er zu herrschen, in der Musik wie im Leben. In sportlichen Autos, auf seiner Segelyacht, im Cockpit. Er lebte im technischen Zeitalter, sein Ehrgeiz war es, die neuen Techniken zu beherrschen und zu benutzen, er spielte mit Computern wie mit
Partituren.»
Aber seine Verletzungen, chronischen Beschwerden, Krankheiten, die in den Siebzigerjahren auftraten, nahmen immer mehr Einfluss auf ihn und sein Leben. Er hatte dauernd Rückenschmerzen, gegen die er, viele Ärzte zu Rate ziehend, alles nur Denkbare tat, allerdings ohne bleibenden Erfolg. Er dirigierte unter wahnsinnigen Schmerzen, liess sich mehrfach operieren, die Schmerzen blieben, er arbeitete weiter. Trotzdem konnte Karajan «humorvoll sein mit beissendem Witz, den die Österreicher ‹Friedhofshumor› nennen», schreibt Biograf Richard Osborne. «Christa Ludwig, deren Mutter in den 1930er-Jahren mit Karajan in Aachen gesungen hat, erinnert sich daran, dass sie am Ende einer gefeierten Vorstellung in Salzburg neben ihm vor den Vorhang gerufen wurde. Während das Publikum jubelnd stampfte und tobte, wandte er sich zu ihr und murmelte: ‹Wenn die nur wüssten, wie gut wir wirklich sind!›»
Wir bedanken uns beim Eliette und Herbert von Karajan Institut für die Unterstützung bei dieser Ausgabe.