Du 840 | Oktober 2013 | Maurizio Cattelan – Kult und Ketzerei
Maurizio Cattelan
Kult und Ketzerei
«Mir geht ein Bild durch den Kopf»
Von Oliver Prange
Maurizio Cattelan macht sich lustig. Aber er ist auch schwermütig. Er ist komisch und tragisch zugleich. Wann immer er eine Bühne betritt, hält er sogleich Ausschau nach einem günstigen Fluchtweg. Es zieht ihn nicht ins Licht. Trotzdem inszeniert er immer auch sich selbst. Sein ganzes Leben lang wollte er ernst genommen werden, und jetzt, da man ihn ernst nimmt, ist es ihm nicht mehr wichtig. Maurizio Cattelan ist ein Bündel von Widersprüchen, und diese Widersprüche kultiviert er mit Hingabe.
Noch nie hat er einen Meissel selbst in die Hand genommen, und er hat auch kein Atelier, und trotzdem schaffte er es vor zwei Jahren zu einer Retrospektive im New Yorker Guggenheim-Museum. Unter dem Titel All hingen rund 130 seiner Werke in der Rotunde des berühmten Frank-Lloyd-Wright-Gebäudes. Besucher konnten die Rampe hinaufgehen und das Werk von unten und von oben, von links und von rechts betrachten – Wachsfiguren, Gemälde, Fotografien, gerahmte Dokumente und viele ausgestopfte Tiere.
Cattelan schwört auf die Macht des Bildes: «Mein Ausgangspunkt ist immer ein Bild, nie eine bestimmte Aussage … Mir geht ein Bild durch den Kopf. Es beschäftigt meine Phantasie, und am nächsten Tag ist es noch immer da. Ich kann dieses Bild nicht reduzieren oder überhaupt vergessen. Also fange ich mit der Arbeit an. Ich überlege mir alle Möglichkeiten und versuche dann, die Idee herauszuarbeiten. Eine Synthese der Idee zu finden. Das ist das Allerschwierigste. Es kommt aber vor, ein paar Mal, etwa alle zehn Jahre.»
Fake oder echt – das ist nicht so wichtig. Wenn es um die Fantasie geht, kann man das nie genau unterscheiden. «Positives und Negatives, Gutes und Böses, Verbote und Tabus, Wahrheit und Täuschung – in Cattelans Phantasie ist alles enthalten», schreibt die Autorin Pei Fen Sung in ihrem Porträt.
Cattelan lässt sich nicht festlegen. Er hält sich an keine Ordnung, stellt sich selbst infrage, untergräbt das System von innen, fordert unsere Wahrnehmung und unsere Sehgewohnheiten heraus. Seine Arbeiten sind eingebettet in Versagensangst und in ein tiefes Bewusstsein von Tragik, Verlust und Tod und werden, angereichert mit humorvollen Wendungen, in eindrucksvollen Bildern präsentiert.
Das gilt auch für Cattelans neueste Publikation namens Toiletpaper, benannt im Sinne der ultimativen Entsorgbarkeit von Printerzeugnissen, das er gemeinsam mit dem italienischen Modefotografen Pierpaolo Ferrari herausgibt. Für Cattelan sind die Toiletpaper-Fotos «beinahe Kunst». Einige, so glaubt er, könnten irgendwann den Status von Kunstwerken erlangen, aber erst, wenn sie sich bewährt haben in der Welt, erst, wenn sie ikonisch geworden sind. Und so bietet Toiletpaper Cattelan einen Ausweg. Das Magazin ermöglicht ihm, den Erfolg seiner Fotografien zu testen, ohne sich dabei dem Druck des Kunstmarkts auszusetzen.
Die Installation Kaputt von Maurizio Cattelan ist noch ist noch bis am 6. Oktober 2013 in der Fondation Beyeler zu sehen.