Du 839 | September 2013 | Die Visionäre des Silicon Valley
Die Visionäre des Silicon Valley
Think Big
Von Oliver Prange
Die Menschen im Silicon Valley ticken anders. Sie sind unangepasst und gleichzeitig geschäftstüchtig, eine Mischung aus Hippie und Unternehmer. Einige sind unvorstellbar reich geworden. Es ist die Traumfabrik des Nordens in Kalifornien, nur viel wichtiger als Hollywood. Was Google, Facebook, Amazon, Apple, E-Bay, Paypal tun, beeinflusst unser aller Leben jeden Tag. Du ist ins Silicon Valley gereist, in dem Versuch, zu erfassen, was dort vor sich geht und was auf uns zukommt. Die Erkenntnis: Üblicherweise scheitern Utopien, dort werden sie Wirklichkeit. Nicht immer, aber manchmal. Aber wenn, dann grundlegend. Der grösste Utopist ist Elon Musk. Knapp über vierzig Jahre alt, geht er die ganz grossen Themen unserer Zeit an: Energie, Umwelt, Fortbestand der Zivilisation. Mit Tesla Motors baut er ein teures Sportauto mit Elektromotor. Mit Space X will er zum Mars, um dort Leben zu implantieren. Er wurde mit Paypal reich, das den globalen Zahlungsverkehr übers Internet ermöglichte. Wie denkt so ein Mensch? Die Antwort: Wenn man die Frage richtig formulieren kann, ist die Antwort der leichtere Teil. Warum ausgerechnet Space X? «Mit der Ausweitung unseres Lebensraums können wir den Fortbestand unserer Zivilisation sichern», sagt Musk. Er ist noch nicht so weit. Die Raketen sind zu teuer. Er prüft derzeit, wiederverwendbare Raketen zu bauen, so wie Flugzeuge. Jeder kennt Mark Zuckerberg. Er ist 29 und einer der grössten Unternehmer der Welt. Staatsmänner hören ihm zu, auch Barack Obama. Wäre Facebook ein Land, wäre es mit China und Indien unter den drei bevölkerungsreichsten. Facebook ist aber kein Land, sondern eine Plattform, auf der Leute Kontakt mit Freunden und Bekannten halten. Facebook ist heute ein Versorger wie eine Telefongesellschaft oder ein Elektrizitätswerk. Doch mit dem Erfolg wächst die Kritik: zu wenig Datenschutz, zu wenig Kontrolle für die Nutzer, zu komplizierte Nutzereinstellungen. Die Vorbehalte sind berechtigt: Facebook hat mehr Informationen über die Menschen angesammelt als jedes andere Unternehmen. Viele der über eine Milliarde Facebook- Nutzer geben der Welt mehr von sich preis, als ihnen bewusst ist. Und der flüchtige NSA-Mitarbeiter Edward Snowden machte diesen Sommer publik, dass Silicon-Valley-Firmen mit dem Geheimdienst zusammenarbeiten. Kritik kommt heute auch von einem, der ein Technologie- Pionier war. Jaron Lanier, Musiker, Querdenker, Utopist. Mitte der Achtziger traf er sich mit Geeks in seinem verlotterten Bungalow in Palo Alto. «Information soll frei sein» war das Credo, die Grundlage von Social Media. Heute sind seine Musikerkollegen arbeitslos. Wenn alles gratis ist, können auch keine Löhne mehr bezahlt werden.
Die Revolution frisst ihre Kinder.
Das Internet hat zu einer Oligarchie geführt. Nur einige wenige sind reich. Auch die US-amerikanische Journalistin Rebecca Solnit befürchtet eine unkontrollierbare Macht. Google, das Unternehmen, das laut Firmenmotto «nichts Böses tun» will, verwandelt sich mit Riesenschritten in ein Imperium – kein territoriales Imperium wie Rom oder die Sowjetunion, sondern eines, das unseren Zugang zu Daten und unsere Daten selbst kontrolliert. «Google bestimmt, was im Netz und in der Welt wichtig, relevant und wahr ist. Wir glauben, dass Google in unserem Interesse handelt. Aber wir haben die Kontrolle über die Wertvorstellungen, Methoden und Prozesse abgegeben », schreibt sie in ihrem Beitrag. Hier entsteht eine neue Form von Staat, die sich praktisch jeder Kontrolle entzieht. Das bestreitet Eric Schmidt, Executive Chairman von Google. Er verweist auf das ständige Wettrennen der Grossen, denn die Konkurrenz ist nur einen Klick entfernt. Menschen können selbst entscheiden. Niemand wird gezwungen. Und es wird noch kompetitiver werden. «Die Jungen, die jetzt aus den Hochschulen kommen, sind scharf wie Haie. Sie sind gescheit, global und sozial vernetzt», sagt Schmidt.
Wer wirft den Haien das Futter zu?
Zum Beispiel Ron Conway, 62, Business-Angel und bestvernetzter Mensch der Gegend. Techies, Filmstars, Rapper, Medienmogule. Einer nennt ihn das lebende Facebook, ein anderer den Paten des Silicon Valley. Conway finanzierte Hunderte von Start-ups, ein paar wurden zu Goldgruben: Google, Facebook, Twitter, Pinterest. Der Milliardär hat die Wunderkinder erzogen. Während der Hardware-Ära erkannte er früh, dass die nächste Phase Internet-Software sein würde. «Ich glaube, wir stecken beim Internet immer noch in den Kinderschuhen», sagt Conway. Er schaute sich immer erst die Menschen an, die hinter der Idee standen. Larry Page und Sergey Brin hatten keine Ahnung, wie sie Geld verdienen sollten, als sie ihm Google präsentierten. Aber die grössten Erfolge kamen, wenn eine Idee völlig verrückt, der Unternehmer aber so sympathisch war, dass man in jede seiner Firmen investieren wollte. Conway entscheidet in zehn Minuten, ob ein Talent vor ihm steht. Auch Jack Dorsey stand vor ihm. Seit Jugendtagen liess den Tagebuch-Schreiber Dorsey eine Idee nicht los: manchen Gedankengang Freunden zu schicken. Die Mini-Meldung war aus Dorseys Sicht ein Weg, dem Leben in einer hektischen, pulsierenden Stadt ein menschliches Element hinzuzufügen. So entstand Twitter. Der Minimalismus der Nachricht – maximal 140 Zeichen – ist Ausdruck von Dorseys stilistischer Kürze. Twitter ist zu einem der grössten sozialen Netzwerke geworden, ein Treiber der Gesellschaft. Welche Macht die Silicon-Valley-Entrepreneure inzwischen erlangt haben, zeigte Anfang August eindrücklich Jeffrey P. Bezos, Gründer von Amazon.com. Er schnappte sich die renommierte Washington Post, die einst den Watergate-Skandal aufdeckte. Sein Vermögen: 25 Milliarden Dollar. Der Kaufpreis: 250 Millionen. Er übernahm die Zeitung mit dem Geld aus der Portokasse.