Du 832 | Dezember 2012 | Burma 2012 – Eine Reportage
Burma 2012
Eine Reportage
Burma 2012. Eine Reportage
Von Oliver Prange
Vor genau zwanzig Jahren erschien die Du-Ausgabe «Burma 1992. Eine Reportage». Bertil Lintner, geboren 1953 in Schweden, seit 1982 Burma-Spezialist der Far Eastern Economic Review, beschrieb ein Land, geprägt von Tradition, Buddhismus und der Militärjunta. Lintner stand seit 1989 auf der schwarzen Liste, ihm wurde die Einreise verboten. Für das Heft traf er damals Daniel Schwartz, Fotograf und Redaktionsmitglied von Du, der das Heft vorgeschlagen hatte. Hätten die Behörden von der Begegnung gewusst, hätten sie auch ihm die Einreise untersagt.
Vor einem Jahr nun meldete sich Schwartz bei uns auf der Redaktion mit der Idee, nach zwei Dekaden einen neuen Augenschein in dem Land zu nehmen. Wir entschlossen uns dafür, weil zurzeit dort umwälzende Veränderungen stattfinden. Also machten wir uns auf die Suche nach Lintner und fanden ihn in Chiang Mai, im Norden Thailands. Er war von der Idee sofort begeistert und erklärte sich bereit, auch dieses Heft zu schreiben.
Das Glück war uns wohlgesinnt. Als diesen August bekannt wurde, dass Burma 2000 Namen von der schwarzen Liste streichen würde, war Lintner darunter. Er stellte gleich einen Visumantrag, der Anfang Oktober bewilligt wurde. Zum ersten Mal seit 23 Jahren durfte er wieder offiziell ins Land. Unterdessen nahm Schwartz Kontakt zu den Fotografen-Kollegen Gary Knight und Philip Blenkinsop auf, und sie entschieden, je einen unterschiedlichen Landesteil zu fotografieren. Sie waren im Juni und im Oktober dort.
In der Weltöffentlichkeit entstand in den letzten Monaten der Eindruck, dass reformbereite Kräfte der Regierung ihre Position gegenüber konservativen Elementen gestärkt hätten und Burma endlich auf dem Weg zu einer funktionierenden Demokratie sei. Ein hochrangiger EU-Beauftragter verglich die Entwicklung gar mit dem Fall der Berliner Mauer. Im Westen wird Präsident Thein Sein vielfach als burmesischer Gorbatschow bezeichnet, als Reformer, der Jahrzehnte der Repression beendet und dem Land neue Hoffnung gebracht hat. Hunderte politischer Gefangener wurden freigelassen. Der seit 1989 währende Hausarrest der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi wurde aufgehoben und ihre Partei, die Nationale Liga für Demokratie (NLD), wieder zugelassen. Zum ersten Mal seit 1962 gibt es wieder eine echte Opposition.
Doch der Eindruck, den Lintner von seiner Reise mitgebracht hat, ist zwiespältig. «Von diesen Anzeichen von Fortschritt darf man sich nicht täuschen lassen», schreibt er. Ein einheimischer Geschäftsmann, mit dem er in Rangun sprach, meinte, dass die jüngsten Reformen nicht die allgemeine Machtstruktur im Land verändern. An der Spitze steht nach wie vor das Militär. Das Regime habe sich im Interesse des Machterhalts einfach neu erfunden. Und als Aung San Suu Kyi Anfang 2012 von einem ausländischen Journalisten gefragt wurde, wo sie die demokratische Entwicklung Burmas auf einer Skala von eins bis zehn einordnen würde, antwortete sie: «Wir nähern uns der Eins.» Die Wirtschaft ist durch die beiden grossen Beteiligungsunternehmen – die Union of Myanmar Economic Holdings (UMEH) und die Myanmar Economic Corporation (MEC) – weiterhin fest in der Hand der Militärs. Neben UMEH und MEC gibt es auch einflussreiche Geschäftsleute, die enge Beziehungen zum Militär haben und zum Teil auch mit den Familien der Generäle verbandelt sind. «Was wir heute haben, ist eine korrupte Vetternwirtschaft, keine freie Marktwirtschaft», sagte der Geschäftsmann. Das Land ist keineswegs frei. Überall sind Augen und Ohren, selbst wenn sie sich, einstweilen, unauffällig im Hintergrund halten.
Von Rangun fuhr Lintner in die neue Hauptstadt Naypyidaw, die die Junta 2005 errichtete und die auf halbem Weg zwischen Rangun und Mandalay liegt. Naypyidaw ist eine kuriose Stadt. Die monumentalen Gebäude sind über eine weite Fläche verteilt und durch ungeheuer breite Boulevards miteinander verbunden. Die Strasse, die zum neuen Parlament führt, hat zehn Spuren, aber kaum Verkehr. Eine Strasse wird von nahezu leeren Luxushotels gesäumt. Der Taxifahrer von Schwartz hatte keine Ahnung, wie er zur Hauptstadt gelangen sollte. Und Blenkinsop sah am Bahnhof kaum Leute.
Lintner traf dort Aung San Suu Kyi. Sie war in der Hauptstadt, um an einer Sitzung des Parlaments teilzunehmen. Es war schon spätabends, deshalb kam er gleich zur Sache. Hinter vorgehaltener Hand stellt man sich die Frage, ob die «Lady» nur mehr eine Schachfigur der Regierung sei. Tatsächlich sind viele Ethnien enttäuscht. Nang Seng, eine in England lebende Kachin-Menschenrechtsaktivistin, schrieb am 2. Oktober 2012 in der Huffington Post, dass Aung San Suu Kyi für sie eine Ikone war, eine Heldin und eine Inspiration, doch jetzt fühle sie sich von ihr verraten.
Aung San Suu Kyi ist sich dieser Kritik bewusst und nimmt sie ernst. Aber sie steckt in einem Dilemma. Was immer sie sagt, kann gegen sie verwendet werden, und die Militärs werden vermutlich alles tun, um sie rechtzeitig vor den nächsten Wahlen im Jahr 2015 zu marginalisieren. Doch was hat es mit der Charmeoffensive der Militärs auf sich? Warum starten sie einen Annäherungsprozess an die USA und andere westliche Staaten? Auch die Schweiz hat erst diesen November in Anwesenheit von Bundesrat Didier Burkhalter in Rangun eine Botschaft eröffnet. Die Militärs haben erkannt, dass sie sich aus der starken Abhängigkeit von China lösen müssen. China, das seit Langem begehrlich auf Burmas Wälder, die reichen Bodenschätze, Erdgasvorkommen und das Wasserkraftpotenzial schaute, machte sich Burmas Isoliertheit zunutze.
Als Gary Knight im Norden eine Gas-Pipeline fotografierte, hielt ein Minibus mit Chinesen. Er fürchtete das Schlimmste. Stattdessen wollten sie nur ein Bier mit ihm trinken, um von ihren Wundertaten zu erzählen. Nach Naypyidaw fuhr Lintner ebenfalls in den Norden, nach Monywa, einer Stadt, die drei Stunden von Mandalay entfernt liegt. Dort traf er zwei junge Frauen, die 29-jährige Thwe Thwe Win und die 34-jährige Aye Net, die sich gegen eine von Chinesen gebaute Kupfermine wehren, der bereits zwei Dutzend Dörfer zum Opfer gefallen sind und deren Rückstände das Wasser verunreinigen und die Felder ruinieren. Vor einem halben Jahr waren die Frauen noch Gemüseverkäuferinnen auf dem Markt. Heute kennt man sie im ganzen Land. Die Begegnung mit den beiden beeindruckte Lintner mehr als die mit Aung San Suu Kyi.
Der Widerstand gegen das chinesische Unternehmen kommt, weniger als ein Jahr nachdem die Regierung aufgrund einer ähnlichen Kampagne ein 3,6 Milliarden Dollar teures Wasserkraftwerkprojekt im Kachin-Staat suspendierte. Der Staudamm bei Myitsone, wo die Flüsse Mali und Nmai zusammentreffen und den Irrawaddy bilden, wäre der fünfzehntgrösste der Welt gewesen und hätte eine Fläche bedeckt, grösser als die Republik Singapur. Laut Vertrag wären 90 Prozent der erzeugten Energie nach China gegangen. Der von Präsident Thein Sein verkündete Baustopp gilt als Wendepunkt in den Beziehungen zu China.
Doch die burmesischen Militärs haben nicht nur deshalb eine Verbesserung der bilateralen Beziehungen zu den USA vor Augen, sondern auch Kredite von der Weltbank, des Internationalen Währungsfonds und anderer globaler Finanzinstitutionen. «Im Kampf um Macht und Einfluss in Südostasien stehen Burma und Amerika, diese beiden alten Gegner, jetzt womöglich auf derselben Seite», schreibt Lintner.
Erst diesen November besuchte Barack Obama Burma auf seiner ersten Auslandreise nach seiner Wiederwahl und als erster US-amerikanischer Präsident überhaupt.
PS: Die drei Fotografen zeigen eine Auswahl der besten für diese Ausgabe von Du geschossenen Fotografien in Blenkinsops Galerie 2snakestudio in Bangkok ab dem 6. Dezember. Kontakt, auch für Prints: 2snakestudio@gmail.com.