Du 831 | November 2012 | 96 Jahre DADA – Jubiläumsausgabe
96 Jahre DADA
Jubiläumsausgabe
Dada 96
Von Oliver Prange
Wir feiern ein 96-Jahr-Jubiläum! Nun gibt es wahrscheinlich nur ein Thema, das es erlaubt, 96 Jahre zum Jubiläum zu erklären: Dada, die einzige Kunstrichtung von internationaler Ausstrahlung, die in der Schweiz ihren Ursprung hat. Dada hatte weltweit unerhörte Auswirkungen. Dada war eine weltumspannende Bewegung.
«Ohne Dada hätte es 1968 keine Sit-ins gegeben, hätte Joseph Beuys keine Performances abgehalten, Sid Vicious nicht die Queen hochleben lassen, die ‹Bewegig› aus dem Staat keinen Gurkensalat gemacht, und ohne Dada wäre das Cabaret Voltaire an der Spiegelgasse in Zürich heute eine Apotheke», schreibt unser Autor Juri Steiner. Dada war eine Bombe, die 1916 hochging. Die Detonation ist bis heute zu spüren. Wenn Urdadaist Tristan Tzara sagte: «Alles ist Dada!», korrigierte ihn sein Mitstreiter Hans Arp mit dem Satz: «Alles ist eine Reaktion auf Dada!» Mit diesem elementaren Satz habe Hans Arp Dada die subversive Ungeheuerlichkeit zurückgegeben, die ihm die Kunstwissenschaftler ausgetrieben hätten, schreibt Peter K. Wehrli, der dabei war, als Arp diesen Satz am 22. November 1965 in Locarno von sich gab. Dada beeinflusste den Surrealismus ebenso wie Fluxus, Nouveau Réalisme, Pop-Art, Mail-Art, die Situationistische Internationale, den Punk und viele weitere künstlerische und intellektuelle Strömungen bis in die Gegenwart hinein.
Der dadaistische Nabel der Welt ist das Zürcher Niederdorf, genauer das Cabaret Voltaire. Auf dessen Bühne röhrten, girrten, schnalzten und johlten ab Februar 1916 die Dadaisten Tristan Tzara, Hans Arp, Hugo Ball, Emmy Hennings, Marcel Janco, Sophie Taeuber und Richard Huelsenbeck – und schrieben Geschichte. «Dada war politisch, aber nie dogmatisch und hatte kein ästhetisches Programm. Dada hatte lediglich ein Übermass an Clairvoyance und war kreativ überbordend: Readymade, Happening, Lautgedicht, Collage, Typografie – all dies haben die Dadaisten für die Kunst fruchtbar gemacht», schreibt Juri Steiner.
Dieses Du ist ein Wagnis in mehrfacher Hinsicht. Erstens kann man Dada nicht gerecht werden. Zu vielfältig ist das Phänomen, zu gut erforscht sind die historischen Fakten, zu vielfältig und ausdifferenziert die Folgen in der Kunst wie in der Populärkultur – bis heute. Zweitens würde man, wollte man Dada gerecht werden wollen, viel mehr machen als eine Du-Nummer; man müsste eine grosse Ausstellung machen und einen noch grösseren Katalog, in dem die Stimmen der Historiker, Kunstwissenschaftler, Künstler, Nachkommen, Apologeten und Gegner von Dada zur Sprache kommen könnten. Wir haben das Gegenteil gemacht. Das Dada-Du ist rhapsodisch, chaotisch, arbiträr, subjektiv. Wenn es historisch ist, dann im Sinne eines Rückblicks auf die Gegenwart und eines Ausblicks auf die Vergangenheit. Was anderes ist denkbar, wenn man das Dada-Du einer Generation zur Erarbeitung übergibt, die jetzt ungefähr gleich alt ist wie die Dadaisten zur Zeit des Cabaret Voltaire? Der Dada-Schwerpunkt des vorliegenden Heftes ist im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit dem Masterstudiengang publizieren & vermitteln der Zürcher Hochschule der Künste entstanden. Während eines acht Monate dauernden Projektes haben sich angehende Kulturjournalisten das unter der Leitung von Basil Rogger und Mihaly Varga (Art Direction) angeeignet. Das Du-Layout haben sie zu diesem Zweck aufgelöst. Und so tanzen nun zwölf Studierende der Zürcher Hochschule der Künste, an welcher Sophie Taeuber vor fast hundert Jahren unterrichtete, in dieser Du-Nummer für uns Leserinnen und Leser wieder den Dada, ewig neu, ewig frisch und immer eine Spur eklektisch.
Gleichzeitig ist dieses Du auch eine grosse Verneigung vor Hans Bolliger. Ohne den grossen Antiquar und Sammler wäre Dada schlicht nicht in der Form erhalten und dokumentierbar, wie es heute ist. Seine Auktionskataloge aus den 1960er- bis 1980er-Jahren sind in der Zwischenzeit selbst hoch gehandelte Sammelobjekte, weil seine Detailkenntnis und Präzision in der Beschreibung der Bücher, Plakate, Grafiken bis heute unübertroffen ist. Bonne lecture!
Inzwischen sind die Sieger des erstmalig ausgeschriebenen Greenpeace Photo Award bekannt, der zusammen mit Du durchgeführt wurde (www.photo-award.ch). Wir danken insbesondere Manù Hophan von Greenpeace Schweiz für die gute Zusammenarbeit. Die Projekte werden von Greenpeace finanziert und im Sommer 2013 in Du publiziert.
Den Publikumspreis gewonnen hat Flurina Rothenberger. Ihr Projekt thematisiert Wasserverschmutzung und Klimawandel anhand der jährlichen Überschwemmungen in Thiaroye, einem Viertel in der Banlieu von Dakar (Senegal). Flurina Rothenberger arbeitet für ihre Fotodokumentation eng mit dem Musiker Goormak zusammen, der in diesem Quartier lebt.
Den Jurypreis gewonnen hat Jules Spinatsch. Die Begründung von Urs Stahel, Jurymitglied und Direktor des Fotomuseums Winterthur: «Jules Spinatsch bewegt sich in heikle Zonen hinein und beobachtet die Sicherheitsvorkehrungen des WEF in Davos, den Opernball in Wien, die Börse in Frankfurt und hier als Plan den Umgang mit der Atomenergie in der Schweiz. In jedem dieser Projekte installiert er computergesteuerte, schwenk- und kippbare Netzwerk- Kameras (Webcams), die so programmiert werden, dass sie den Raum als Raum und zugleich im Zeitablauf über Stunden minutiös aufnehmen. Alle paar Sekunden wird ein Bild geschossen. So entstehen Panoramaaufnahmen, die nicht nur eine räumliche, sondern auch eine zeitliche Übersicht liefern – die fast totale Überwachung im Dienste der Aufklärung.»